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Montag, 08.01.2024 8:58

I080

1770 (ca.) | Tafelklavier Johann Matthäus Schmahl (Ulm) o.Nr. in Form einer liegenden Harfe

Tafelklavier in Form einer liegenden Harfe; keine Signatur, keine Nummer, aufgrund der Bauform traditionelle Zuschreibung an Johann Matthäus Schmal in Ulm (1734-1793), Mitglied einer regional äußerst bedeutenden und erfolgreichen Instrumentenbauerfamilie

Fotos Teil 1

Schmahl (Ulm ca. 1770): Tafelklavier in Form einer liegenden Harfe Schmahl (Ulm ca. 1770): Tafelklavier in Form einer liegenden Harfe
Schmahl (Ulm ca. 1770): Tafelklavier in Form einer liegenden Harfe Schmahl (Ulm ca. 1770): Tafelklavier in Form einer liegenden Harfe
Schmahl (Ulm ca. 1770): Tafelklavier in Form einer liegenden Harfe Schmahl (Ulm ca. 1770): Tafelklavier in Form einer liegenden Harfe
Schmahl (Ulm ca. 1770): Tafelklavier in Form einer liegenden Harfe Schmahl (Ulm ca. 1770): Tafelklavier in Form einer liegenden Harfe

Die Mechanik-Schublade ist nach hinten (!) aus dem Instrument zu entnehmen.

Tafelklavier ("Form einer liegenden Harfe")

Tafelklavier in Form einer liegenden Harfe, zugeschrieben Johann Matthäus Schmahl (Ulm), Zustand Sommer 2014 beim Erwerb für die Sammlung Dohr.

Fotos: Bernd Noelle

Tafelklavier ("Form einer liegenden Harfe")

 

Fotos Teil 2

(© Christoph Dohr, 11. September 2014)

Schmahl (Ulm ca. 1770): Tafelklavier in Form einer liegenden Harfe Schmahl (Ulm ca. 1770): Tafelklavier in Form einer liegenden Harfe
Schmahl (Ulm ca. 1770): Tafelklavier in Form einer liegenden Harfe Schmahl (Ulm ca. 1770): Tafelklavier in Form einer liegenden Harfe
Schmahl (Ulm ca. 1770): Tafelklavier in Form einer liegenden Harfe Schmahl (Ulm ca. 1770): Tafelklavier in Form einer liegenden Harfe
Schmahl (Ulm ca. 1770): Tafelklavier in Form einer liegenden Harfe Schmahl (Ulm ca. 1770): Tafelklavier in Form einer liegenden Harfe
Tafelklavier ("Form einer liegenden Harfe") Tafelklavier ("Form einer liegenden Harfe")

 

  • Breite: 1274 mm
  • Tiefe an linker Seitenwand: 340 mm; größte Tiefe: 495 mm
  • Korpushöhe inkl. Deckel: 220 mm
  • Gesamthöhe inkl. Untergestell: 845 mm
  • Untertasten 122 mm sichtbare Länge, Belag: Ebenholz (im hinteren Bereich, also zwischen den Obertasten, aus ökonomischen Gründen im Vergleich zur Stärke des Vorderbelags aufgedoppelt). Tastenfronten gewaffeltes geprägtes Papier, weiß lackiert.
  • Obertasten 80 mm sichtbare Länge, Belag: Bein auf schwarz gebeiztem Weichholz.
  • Stichmaß 487 mm.
  • Umfang: G1 – g3 = fünf Oktaven, 61 Tasten (62 Saiten wg. Transponiervorrichtung um 1/2 Ton).
  • geteiltes Vorsatzbrett/Vorstecker: Der obere Teil (ca. 2/3 der Höhe mit vier Schiebern) ist fest montiert; der untere Teil (ca. 1/3 der Höhe mit Dämpfungsanhebung) ist Teil der Mechanikschublade und entnehmbar aufgesteckt.

Kurzcharakteristik:

Die Tafelklaviere in Form einer liegenden Harfe stellen eine eigenständige, singuläre und (beinahe) "ohne Folgen" gebliebene Frühform in der Baugeschichte des Tafelklaviers dar. Diese Bauform adaptierte - wohl willentlich - nicht die tradierte "square (piano)" Form des seit Jahrhunderten etablierten Clavichords, sondern schuf für den Sektor "Hammerclavierchen" eine eigenständige neue Form. Die in eigentlich allen Punkten aufwändige, ja veschwenderisch luxuriöse Bauweise (auffallend sind insbesondere Verzierungen sogar an unsichtbaren Bauteilen wie der Mechanik-Schublade, die erst bei Demontage des Instruments, d.h. Entnahme der Mechanik, sichtbar werden) machte das Instrument zu einer Besonderheit, die nicht auf die Kombination von einfacher Konstruktion und niedrigem Verkaufspreis abzielte, sondern die Wertigkeit des Einzelstückes in den Mittelpunkt stellte.

Trotz fehlender Signierungen und/oder Datierungen sind diese Tafelklaviere gesuchte, begehrte Raritäten. Zudem scheint es sich bereits zur Entstehungszeit um eher kleine gefertigte Stückzahlen gehandelt zu haben, wobei sich die bekannten Instrumente nochmals auf (mindestens) drei Varietäten aufteilen: So ist dieses Schmahlsche Tafelklavier der Sammlung Dohr aufgrund seines Ambitus eine Besonderheit unter den "liegenden Harfen", weist es doch den bei diesem Typus seltenen Klaviaturumfang G1 – g3 auf (Clinkscale [siehe Literatur, s.u.] weist nur ein weiteres Schmahl zugeschriebenes Instrument mit diesem Ambitus nach). Die sonst nachgewiesenen Schmahlschen Tafelklaviere weisen einen viereinhalboktavigen (C – f3) bzw. einen um eine Sekunde größeren (F1 – g3) Ambitus auf. (Jan Großbach hält das Instrument der Sammlung Dohr von seiner konstruktiven Anlage her für ein schon in der Erbauungsphase um eine Sekunde [= zwei Töne bzw. Tasten] im Bass "reduziertes" F1 – g3-Instrument; tel. Mitteilung am 29. September 2014.) Eine chronologische "Ordnung" dieser Instrumente aufgrund ihres Ambitus ist bei derzeitigem Forschungsstand hypothetisch, ja sogar höchst unwahrscheinlich: Schmal als angenommener Erbauer hat wohl für verschiedene Kundenkreise und Ansprüche zeitgleich verschiedene Formen und Größen seiner "liegenden Harfen" angeboten.

Auffällig - und für Jahrzehnte einzigartig - ist die große Anzahl von "Veränderungen", die der Erbauer auf das Kunstfertigste auf kleinstem Raum in seine Instrumente einzufügen wusste.

Nach einigen überlegungen bestätigt sich die These, dass das Tafelklavier in Form einer liegenden Harfe zur Gruppe der Pantalons, d.h. im Prinzip dämpfungsfreien Hammerclaviere, zu rechnen ist. Entscheidend hierbei ist die Klärung der Frage, ob der "Normalzustand" des Instruments derjenige mit anliegenden oder mit nicht anliegenden Dämpfern ist. Legt man eine "Logik" bzw. "Analogie" der Schaltrichtungen der fünf Veränderungen zugrunde, ist stets "Position Schalthebel links = aus" und "Position Schalthebel rechts = ein". Demnach handelt es sich beim Tafelklavier in Form einer liegenden Harfe nicht um eine "Dämpfungsaushebung" (wie es beim modernen Klavier und Flügel korrekterweise zu bezeichnen ist und von Fachleuten auch bezeichnet wird), sondern um eine Dämpfung: Durch die Schaltung des entsprechenden Hebels auf "ein" wird aus dem Pantaleon mit ungedämpft schwingenden Saiten ein gedämpftes Instrument mit Einzeldämpfungsaushebung. Ein weiteres Indiz für die Zuordnung zur Gruppe der Pantalons ergibt sich aus der - historisch verbürgten, da in den Verkaufsanzeigen benutzten Instrumentenbezeichnung als "liegende Harfe" - schließlich ist eine Harfe selbst auch ein dämpferfreies Saiteninstrument.

Forschungslage:

Michael Cole widmet in seinem Standardwerk "The Pianoforte in the Classical Era" ein 33-seitiges Kapitel dem Thema "Pianoforte or 'Pantalon'? The Origins of German 'Tafelklaviere'" [siehe Literatur]. Immerhin eine halbe Seite lang ist seine Diskussion der Schmahl zugeschriebenen "Tafelklaviere in Form einer liegenden Harfe":

"In museum catalogues any harp-shaped keyboard instruments of this kind are almost invariably attributed to Johann Matthäus Schmal of Ulm 'circa 1770'. [...] if anyone closely examines a good sample of these instruments, it becomes quite apparent from differences in the shape [...], and many other features that several workshops must have been making them over a period of decades. [...] much more research is needed."

Michael Cole kommt zu dem Ergebnis, dass die große Variabilität in den Maßen und in den Tastaturumfängen der "liegenden Harfen" (es gibt wohl tatsächlich keine zwei gänzlich identischen Instrumente unter den bekannten erhaltenen) auf eine größere Zahl von "workshops" schließen lässt (die - so meine Ergänzung - dann wohl im Auftrage von Schmahl im Verlagssystem Instrumente nach Schmahlschen Vorgaben fertigten; will sagen: Dass diese Instrumente die Handschrift eines einzigen "Urhebers" [im Gebrauchsmuster-Sinne!] entstammen, wird von niemandem angezweifelt. Schmahl ist zudem des weiteren "mindestens" der Distributor dieser "liegenden Harfen" gewesen, wie seine zahlreichen Anzeigenschaltungen belegen). Coles ausführliche Stellungnahme zu Schmahls Rolle bei den "liegenden Harfen" fußt ausdrücklich auf der Sichtung von Bestandskatalogen. Derzeit forscht Michael Günther an den Instrumenten selbst und bereitet die Publikation einer Studie vor (pers. Mitteilung vom 11. September 2014). Als wichtig[st]es Gegenargument ist anzuführen, dass diese[r] Erbauer der liegenden Harfen zwar eine große Variabilität produzierte[n], dass dies aber auch der "Spleen" eines Einzelbauers sein konnte. Auch wird missachtet, dass im Süddeutschland des späten 18. Jahrhunderts andere Fertigungsmethoden herrschten als etwa im Londoner Raum, der zu dieser Zeit schwer von der Industriellen Revolution, der Einführung arbeitsteiliger Manufakturfertigung und damit der Standardisierung von sich wiederholenden Arbeits- und Fertigungsprozessen heimgesucht wurde. Als sicher kann mittlerweile gelten, dass die Schmahl zugeschriebenen "Liegenden Harfen" über einen Zeitraum von vielleicht 20 Jahren - oder mehr - entstanden. Gleichwohl gibt es zudem "nonverbale Signaturen" z.B. in Form von Verzierungen (s.u.), die all diese erhaltenen und bekannt gewordenen Instrumente einer singulären "Handschrift" zuordnen.

Mechanik:

Frühe deutsche Stoßmechanik (fünf bewegte Teile: Taste; Stößer; Hammerstiel mit Hammerkopf; Hebelglied/-wippe für Dämpfung; Dämpfer); unbelederte, hölzerne, auffallend kleine und damit massearme Hammerköpfe mit kleinen Anschlagsflächen; Art der Dämpfung: rund-punktförmige Unterdämpfung, Einzelglieder; Mechanik-Schublade wird auf der Rückseite des Instrumentes entnommen bzw. eingeschoben (!). Gemeinsame Achsung aller 61 Hämmer durch ein mittels eines Wirbels gespanntes Hanfseil (beim beschriebenen Instrument im Rahmen einer Reparatur in den ca. 1920er-Jahren durch eine mittels sechs Keilen in ihrer Position fixierte Metallachse ersetzt; im Rahmen der Restaurierung wurde die ursprüngliche Situation rekonstrutiert).

Zuweisung und Datierung:

Das Tafelklavier in Form einer liegenden Harfe weist zahlreiche bautechnische Besonderheiten auf, die sich an den übrigen Johann Matthäus Schmahl zugeschriebenen Instrumenten wiederfinden; ein Vergleich mit den drei "liegenden Harfen" der Sammlung Michael Günther brachte zahlreiche bautechnische Kongruenzen ans Licht; Konstruktive bzw. materielle Abweichungen fanden sich lediglich durch die Eingriffe im Zuge der auf die 1920er-Jahre datierte "Reparatur" des Instrumentes (Saiten, Wirbel, Nachbau der "Harfe", fehlende Rosette, eiserne Hammerachse; Stilllegung der Transponier-Vorrichtung).

Johann Matthäus Schmahl hat die von ihm angebotenen (und mit einer fast 100%igen Wahrscheinlichkeit auch hergestellten) Instrumente in Zeitungsanzeigen beworben (, zudem nach dem Kenntnisstand von Michael Günther auch durch "Agenten" vertrieben). Die frühesten "liegenden Harfen" werden derzeit auf ca. 1760 daiert. In mindestens einer der erwähnten Zeitungsannonce wird auch ein Instrument mit dem Ambitus G1 – g3 angeboten. Durch diese Anzeige lässt sich das hier behandelte Instrument mit einiger Sicherheit auf die Zeit 1770 bis 1780 datieren.

Veränderungen:

keine Pedale, keine Kniehebel; fünf Handschieber im Vorsteckerbrett, je in horizontalen Schlitzen geführt, Schaltweg von links [aus] nach rechts [ein], angeordnet in drei Gruppen [zwei Hebel links im oberen Vorsatzbrett; der dritte Hebel mittig im unteren Vorsatzbrett und sehr dicht über den Obertasten; die Hebel vier und fünf symmetrisch zu den ersten beiden Hebeln auf der rechten Seite im oberen Vorsatzbrett], die ersten beiden "Veränderungen" zudem je in zwei definierten Intensitäten:
(1) Seiden-Moderator [Clinkscale: "silk"] mit Raste nach 2/3 Weg der Verschiebung; die Raste markiert die Positionieung bei eingeschalteter Transposition (= eingeschobener Mechanik-Schublade);
(2) Filz-Moderator [Clinkscale: "felt"] mit Raste nach 2/3 Weg der Verschiebung; die Raste markiert die Positionieung bei eingeschalteter Transposition (= eingeschobener Mechanik-Schublade);
(3) Dämpfung [Unterdämpfung]; nach Auskunft von Michael Günther hieß/heißt diese "Veränderung" im Sprachgebrauch bei den "Schmahlschen liegenden Harfen" "Spinett", da der Klang ähnlich wie durch die zurückfallende Docke beim Kielinstrument abrupt gedämpft wird. Trotz ihrer geringen Kontaktfläche (kleine kreisrunde Dämpfer) mit der jeweiligen Saite ist die Unterdämpfung sehr effizient und schnellwirkend;
(4) Harfenzug [kurz vor dem Klangsteg wird eine mit einer feinen Bürste bestückte Leiste auf den Bezug abgesenkt; der Harfenzug reduziert beim Pantalon-mäßigen Spiel zugleich das allzustarke Ineinanderklingen der angeschlagenen Saiten.];
(5) "Hoboe" [der Resonanzboden wird von seiner Unterseite "blockiert" und dadurch zum Teil an seiner Schwingung gehindert; dieser "Effekt" ist vor allem im Bassbereich hörbar und verursacht eine deutliche Formant-Verschiebung nach oben.].
(6) Transpositionsvorrichtung um 1/2 Ton aufwärts [vermutlich im Rahmen der "Reparatur" der 1920er-Jahre demontiert (freundlicher Hinweis von Jan Großbach, 29. September 2014); wurde im Rahmen der Restaurierung nach Vorbild eines Instrumentes aus der Sammlung von Michael Günther wiederhergestellt;].
[Die "Benennung" der Veränderungen orientiert sich an Clinkscale 1993 (s. Literatur) und an Michael Günther (persönlicher Besuch am 11. September 2014).]

Weitere Merkmale:

[1] Das Instrument hat keine Beine; es gibt auch keine Spuren von entsprechenden Klötzen an der Unterseite des Korpus. Das Instrument besitzt links und rechts je einen historischen Tragegriff aus Messing (je mit handgefertigtem Schraubgewinde!), der durch eine je applizierte Messing-Platte in das Gehäuse eingeschraubt ist. Das Fehlen von korpusseitig zu befestigenden Beinen und die Existenz von Tragegriffen lässt auf eine bauzeitliche Verwendung als Tischinstrument schließen. Das Instrument steht auf einem vielleicht zeitgenössischen, vielleicht auch wenige Jahrzehnte jüngeren Untergestell mit vier Beinen quadratischen Grundrisses. Das Untergestell ist von geringerer tischlerischer Qualität als das Instrument selbst und wurde im 20. Jahrhundert durch Aufdoppelung in den Eckverbindungen stabilisiert.
[2] Recht geräumiges, tiefes "Werkzeug- und Utensilienfach" vorne rechts neben dem Klaviaturraum. Nettomaße 68 mm in Tastenrichtung, 344 mm breit, mit eigenem Deckel.
[3] Im Unterschied zu "square pianos" z.B. aus zeitgleicher englischer Fertigung verläuft der Bassaitenbezug nicht diagonal von hinten links nach vorne rechts; der gesamte Bezug liegt vielmehr in äquidistanz parallel zum Vorstecker/Vorsatzbrett, so dass eine Transponiervorrichtung durch Verschiebung der Mechanikschublade um einen Saitenabstand "funktioniert" (siehe unten).
[4] dreiteiliger Deckel: Vorderdeckel als Klaviaturraumabdeckung, mit drei dekorativen Messingscharnieren am Hauptdeckel befestigt, dieser mit Kassettierung und mit wiederum drei dekorativen Messingscharnieren am hinteren, fest mit dem Korpus verbundenen Deckelteil verbunden.
[5] Notenhalteleiste auf der Innenseite des Klaviaturraumdeckels, so dass zusammen mit dessen Vordersegment ein Notenpult entsteht, wenn der Hauptdeckel geschlossen bleibt; kein Notenpult für das Spiel bei vollständig geöffnetem Deckel.
[6] Der vollständig geöffnete Deckel wird durch eine Kordel gehalten (beide ösen vorhanden; die eigentliche Kordel wurde im Rahmen der Restaurierung wieder angebracht; eine kleine Deckelstütze von ca. 12 cm Länge entstammt wohl dem frühen 20. Jahrhundert.
[7] "Schallloch" im Resonanzboden - ohne Zierrosette (fehlt, bei Erwerb durch Pappscheibchen [!] teilverschlossen; Rekonstruktion einer Rosette im Rahmen der Restaurierung durch Jan Großbach nach Vorbild eines Instrumentes aus der Sammlung Michael Günther.

Bezug:

Durchgängig einchörig, rechtsstimmig; Bezug nicht original (nach Vermutung des Voreigentümers wohl ca. 1920er-Jahre; im Rahmen der Restaurierung durch passenden Bezug ersetzt), daher keine Angaben zum originalen Saitenmaterial oder/und zur Verteilung von umsponnenen und Blanksaiten möglich; Wirbel nicht original, sondern Zitherwirbel mit großem Loch und Gewinde, wohl ebenfalls frühes 20. Jahrhundert (im Rahmen der Restaurierung 2015 durch handgeschmiedete Wirbel ersetzt). Auffällig ist die Konstruktion des Anhangs: Die Saiten werden eine Viertelkreisprofilleiste, die zugleich den Anhangsteg bildet, entlanggeführt, so dass die Führung bzw. der Kontakt der Saiten am Anhangstegstift sehr präzise = straff erfolgt. Durch diese Saitenführung hat diese Viertelkreisprofilleiste eine [im Vergleich zum Mainstream des Klavierbaus des 18. bis 21. Jahrhunderts unorthodoxe] Doppelaufgabe: Sie ist zweireihig, also doppelt bestifteter Anhangsteg und hat zugleich als Anhangleiste die Summe der Saitenzugkräfte zu halten.

Der Bezug ist so angeordnet, dass alle Saiten denselben Abstand untereinander haben und genau parallel zur Tastenfront angeordnet sind. Dadurch wurde es dem Instrumentenbauer möglich, eine Transpositionsvorrichtung um einen Halbton (aufwärts) zu konstruieren, indem die Mechanik genau um einen Saitenspatium ins Instrument hineingeschoben und wieder arretiert wurde (s.o.).

Mensur:

  • G1 = 1025 mm
  • C = xxx mm
  • G = xxx mm
  • c = xxx mm
  • g = xxx mm
  • c1 = xxx mm
  • g1 = xxx mm
  • c2  = xxx mm
  • g2 = xxx mm
  • c3  = xxx mm
  • g3  = 62 mm

Zustand vor Restaurierung:

Durch den zu starken Bezug im Rahmen der "Modernisierung" des Instrumentes hatte sich die Anhangleiste im Instrument - wohl im Laufe von Jahrzehnten - in einem allmählichen Prozess gelöst, hat der Summe der Saitenspannkräfte nachgegeben, ist nach rechts hinten "gewandert" und hat das entsprechende Segment der Korpusaußenwand verformt. Der zu stark gewählte Bezug hatte zudem den Klangsteg in den Resonanzboden gedrückt. Die Transpositionsvorrichtung fehlte; aufgrund der Verformung des Resonanzbodens war der "Oboen-Zug ohne Funktion; der Seiden-Moderator war zerfasert.

Dokumentation der Restaurierung (Kurzfassung):

Das Tafelklavier in Form einer liegenden Harfe wurde im 1. Halbjahr 2015 durch Jan Großbach (Frankfurt am Main) restauriert. Die Wahl fiel auf ihn, da er aufgrund der Betreuung und Restaurierung der drei (!) "Liegenden Harfen" der Sammlung Michael Günther bestens mit diesem Instrumententyp vertraut ist.

Aufgrund der erheblichen statischen Probleme der Gesamtkonstruktion, hervorgerufen durch den viel zu starken Bezug wohl aus den 1920er-Jahren, wurde das Instrument (Korpus mit Resonanzboden, Anhang- und Klangsteg usw.) zunächst vollständig zerlegt, der Resonanzboden geglättet; nach dem Wieder-Zusammenfügen aller Teile und dem Aufbringen eines neu berechneten Bezugs, der dem historischen Bezug möglichst nahekommt, passte die Mechanik wieder problemlos ins Instrument - und spontan schlugen wieder die "richtigen" Hämmer die "richtigen" Saiten an!

Die modernen sog. "Zither-Wirbel" wurden durch Kopien historischer Wirbel ersetzt, der Stimmstock dazu ausgedübelt und wieder aufgebohrt. Die fehlende Transpositionsvorrichtung und ein Ersatz für das 1920er-Jahre-Surrogat des "Harfenzugs" wurden nach dem Muster eines Instrumentes der Sammlung von Michael Günther nachgebaut bzw. ersetzt. Die im Instrument vorgefundene "moderne" eiserne Hammerstielachse [entsprechende, von einem "Verschleiß" herrührende Kerben auf dieser Achse belegen übrigens, dass das Instrument nach der "Reparatur" in den 1920er-Jahren ausgiebig gespielt worden sein muss!] wurde nach demselben Muster durch ein gespanntes Hanfseilchen ersetzt. Das Schallloch im Resonanzboden wurde von Jan Großbach mit einer von ihm in Anlehnung an historische Vorbilder entworfenen Rosette geziert.

Datierung:

(a) Die meisten Tafelklaviere dieser Bauform sind weder datiert noch signiert, doch werden sie sämtliche dem Ulmer Klavierbauer Johann Matthäus Schmal zugeschrieben. Von den ca. 20 bekannten Tafelklavieren dieses Bautyps gibt es fast keine datierten oder datierbaren. Aufgrund der geringen Zahl von erhaltenen (und wohl auch gebauten) Instrumenten ist davon auszugehen, dass Schmahl sehr "kundennah" fertigte. [Ambitus] Es kann durchaus sein, dass sich hinter den mindestens drei verschiedenen Klaviaturumfängen keine "Evolution" von klein nach groß verbirgt, sondern dass auch hier Kundenwünsche zum Tragen kamen. So ist bisher für den Beginn des 19. Jahrhunderts nachgewiesen, dass Instrumente mit verschiedenem Ambitus und mit verschiedenen "Veränderungen" und Mechaniktypen zeitgleich angeboten wurden. [Klangfarbe] Für ein frühes Entstehen des Tafelklaviers der Sammlung Dohr spricht die Nicht-Belederung der Hammerköpfe. Durch den Anschlag des unbelederten Holzhammerköpfchens auf die Saiten entsteht zumindest ein "archaischer" Klangcharakter. Auf der anderen Seite lässt sich dieses "nackte" Holzhammerköpfchen wunderbar durch die verschiedensten "Veränderungen" modulieren - der Klang eines bereits befilzten Hammerkopfes ist in diesem Sinne nicht derart wandlungsfähig. Trotz dieses "Vorteils" muss jedoch konstatiert werden, dass die Entwicklung hin zum belederten und damit "weich anschlagenden" Hammerkopf stetig verlief.

(b) Clinkscale 1993 (siehe Literatur) führt auf S. 250 ein einziges weiteres Schmahl zugeschriebenes Tafelklavier in Form einer liegenden Harfe an, die sich zunächst in der Heyerschen Sammlung (Kataloge siehe Literatur) befand und von dort in das Musikinstrumentenmuseum Leipzig gelangte. Das Instrument wird auf 1770 datiert. Außer dem Ambitus ist das Untergestell ähnlich (etwas kleiner als das Instrument selbst, vier leicht konische Beine mit quadratischem Grundriss); auch die Abmessungen ähneln sich. Das Heyersche Instrument verfügt aber lt. Clinkscale über lediglich drei Veränderungen: zwei Moderatoren und Transposition (also kein "Forte"-Zug). Vielleicht konnte sich der jeweilige Besteller den Ambitus des Instrumentes und die Anzahl und Art der Veränderungen jeweils wünschen?

Provenienz: Privatbesitz München; davor Privatbesitz Augsburg. Der Erwerb für die Sammlung Dohr im August 2014 wurde ermöglicht durch eine großzügige Spende von Frau Gertrud Ständer in Kooperation mit MusicArts Köln e.V.; Restaurierung durch Jan Großbach (Frankfurt am Main) im ersten Halbjahr 2015.

Literatur (Auswahl):

  • Georg Kinsky: Musikhistorisches Museum von Wilhelm Heyer in Cöln. Kleiner Katalog der Sammlung alter Musikinstrumente. Leipzig: Breitkopf & Härtel 1913. S. 25 (Nr. 102-105).
  • Heinrich Hermann, Die Regensburger Klavierbauer Späth und Schmahl und ihr Tangentenflügel. Dissertation Erlangen 1928.
  • Oscar Paul, Geschichte des Claviers, Leipzig 1868, S. xxx.
  • Edgar Brinsmead, The History of the Pianoforte, London 1889, S. xxx.
  • Alfred Dolge, Pianos and their makers, 1911, Reprint New York 1972, S. xxx.
  • Oscar Bie, Das Klavier, Berlin 1921, S. xxx.
  • Pierce Piano Atlas, 8. Aufl. Termino/CA 1982, S. xxx.
  • Martha Novak Clinkscale, Makers of the Piano 1700-1820, Oxford 1993, S. 246-252.
  • Martha Novak Clinkscale: Art. "Schmahl Family". in: Robert Palmieri (Hg.): Encyclopedia of the Piano, New York / London 1996, S. 344.
  • Michael Cole: Pianoforte or 'Pantalon'? The Origins of German 'Tafelklaviere'. in: ders.: The Pianoforte in the Classical Era, S. 144-177 [zu den "Liegenden Harfen" insbes. S. 167].
  • Wolf-Dieter Neupert: Was gilt es zu beachten bei der Untersuchung eines historischen Tasteninstruments? Referat, gehalten auf der Fortbildungsveranstaltung des Bundes Deutscher Klavierbauer e.V. für Sachverständige und Mitglieder der Meisterprüfungsausschüsse im Klavier- und Cembalobau am 3. März 2007 in Marktheidenfeld. pdf.
  • persönliche Informationen von und Gedankenaustausch mit Michael Günther im Rahmen einer ganztägigen "Inspektion" des Instrumentes und einem Vergleich mit den drei Schmahlschen "Liegenden Harfen" seiner Sammlung in Schloss Homburg, Triefenstein am Main, am 11. September 2014; Besuche in der Werkstatt von Jan Großbach am (zusammen mit Benedikt Dohr) 23. Februar 2015 und am 1. Mai 2015 (zusammen mit Michael Günther).