1939 | Koffer-Kleinspinett Maendler-Schramm (München) #485
Identifikation: Name in Kursive auf Vorsatzbrett in Messing intarsiert: "Maendler-Schramm, München"; Seriennummer vorne rechts in den Stimmstock eingeschlagen: "485"; handschriftlich mit Bleistift auf der Rückseite des Vorsteckers: "Mod. 90" und kopfüber "3"; auf Vorderseite des Stimmstocks handschriftlich mit Bleistift "485" und "3" [wahrscheinlich handelt es sich also um das dritte Exemplar von "Modell 90"]; eingefärbter Schlagstempel auf erstem Tastenhebel (und zwar beidseitig): "Erste Reussische Klaviaturfabrik / Raaz & Gloger / Langenberg-Thür."; Schlagstempel-Nummer auf Innenseite dieser Taste: 65484, davor Schlagstempel "LS" in Kreis.
Instrumentenbeschreibung: Das Instrument ist eine Weiterentwicklung des Maendler-Schramm-Spinetts, von dem sich zwei Exemplare mit den Seriennummern #309 und #318 bereits in der Sammlung Dohr befinden.
Hausmusikinstrument mit minimalen Ausmaßen [das Modell ist mit ca. 18 kg (inkl. Beine) recht leicht und durchaus mit einer Hand im Koffer zu tragen] und mehreren konstruktiven Besonderheiten; Tischinstrument mit drei (wohl nachträglich, vielleicht um 1980 angefertigten) einschraubbaren Beinen (Metallgewinde), ohne Untergestell; von der Denkweise her Rastenkonstruktion [allerdings ohne "Raste" i.e.S.] mit im Bereich des Resonanzbodens offenem Unterboden. Klaviaturrahmen von unten in den Korpus eingeschraubt und ohne Beseitigung des "Vorsteckers" herausnehmbar (allerdings müssen dafür zunächst die Springer aus dem Instrument entfernt werden).
Der Mittelteil des (inkl. anhängender, senkrechter Tastenklappe viergliedrigen) sich vorne und hinten schmetterlingsflügelartig öffnenden Instrumentendeckels ist starr und fungiert zugleich als Dockenleiste. Durch diesen konstruktiven Kniff besitzt das Instrument eine sehr geringe Bauhöhe und strahlt zudem einen Gutteil seines Klangs nach hinten vom Spieler weg. Der vordere Teil des Deckels ist im geöffneten Zustand zugleich Notenpult - dies jedoch nur in dem Fall, dass der hintere Teil des Deckels aufgestellt ist. Die Notenauflageleiste ist mittig unter das die Dockenleiste bildende Deckelsegment geschraubt. Deckel nicht abschließbar oder für Transportzwecke arretierbar. Das Instrument besitzt einen fünfeckigen Grundriss; das Maß der parallel zur Instrumentenvorderkante verlaufenden Rückwand beträgt 150 mm, das der schrägen Rückwand 775 mm. Den Korpusmaßen des Instrumentes entsprechend, ist auch die Klaviatur auffallend klein dimensioniert.
Das "Modell 90" stellt insoweit eine Weiterentwicklung von älteren Spinetten Maendler-Schramms (#309 u. #318) dar, dass die Mensurverkürzung im Bassbereich nicht mehr stattfindet. Die Mensur hat einen dem Normalen angenäherten Verlauf, nicht nur in der Tiefe.
Disposition: ein Register (8'); Holzspringer mit schwerer unterer Messing-Pilote (unten in Pfannenlager auf Tastenhebel geführt, oben in gestanzten, zweifach geschraubten Einzelmessing-Rechen), Lederkiele; doppelte Filzdämpfer an in der Höhe justierbarem Messingträger; Lauten"zug" mittels Drehknopf (rechts in Vorsatzbrett) vertikal zu bewegen; vorder- und linksstimmig; vertikal gespiegelt J-förmiger Klangsteg, parallel zu diesem Lautenzug (Wirkung also nicht nahe dem Anzupfpunkt, wie sonst üblich, sondern am Klangsteg!). Basswandleiste im Bereich des Resonanzbodens beim Klangsteg ausgespart. Bezug vom Bass zum Diskant zunehmend strahlenförmig auseinanderlaufend. Das Instrument weist die spinett-typische ganztönig alternierende Anordnung von Springer- und Saitenpaaren auf. Tiefste Basssaite hinten im Instrument, somit typische "Spinett-Bauweise" ("geschwenktes Cembalo"; im Gegensatz zur Virginal, Clavichord- und überwiegenden Tafelklavierbauweise [Sonderfälle siehe dort!], bei der die tiefste Saite vorne im Instrument liegt).
- Breite: 905 mm (inkl. Deckel; daher die Bezeichnung "Modell 90")
- hintere kurze Wand bis zur Schräge: 170 mm;
- Tiefe: 520 mm (rechts; inkl. Deckel); 300 mm (links; inkl." Deckel)
- Korpushöhe (inkl. Deckel): 145 mm
- Gesamthöhe 780 mm (inkl. der drei, wohl nicht originalen, herausschraubbaren Beine)
- Untertasten: 97 mm sichtbare Länge, Belag: Obstholz
- Obertasten: 45 mm Länge (plus 5 mm Luft zum Vorstecker), Belag: schwarz gebeiztes (Obst?-)Holz
- Stichmaß: 463 mm
- Umfang: F - f3 = vier Oktaven (= 49 Tasten, ausgebleit, mit Schlagstempel durchgenummert, diese Nummern allerdings weitgehend durch die ledernen (?) Lager für die Springer verdeckt.
Restaurierung: ca. 2002 durch Ulrich Weymar, Hamburg
Provenienz/Datierung: Instrument erworben 19. September 2015 für die Sammlung Dohr von der Schauspielerin, Gymnasialmusiklehrerin und Rezitatorin Heidi Haronska-Detel (*1924). Konzertinstrument (!) aus dem Nachlass des Hamburger Chorleiters Prof. Adolf Detel (geb. 19. März 1903 in Wendisch-Evern bei Lüneburg; gest. 20. Dezember 1995 in Hamburg). Das Koffer-Kleinspinett mit drei, wohl dem Instrument nachträglich hinzugefügten herausschraubbaren Beinen wurde von Detel 1939, noch vor Kriegsausbruch, bei Maendler-Schramm erworben und diente nach Aussage seiner Witwe fast sechs Jahrzehnte lang - nämlich bis zu einem Gedenkkonzert am 4. Februar 1996 nach Detels Tod - bei ungezählten (Chor-)Konzerten als Basso-Continuo-Instrument, so insbesondere bei den seit 1938 stattfindenden Weihnachtskonzerten "Liebe alte Weihnachtslieder", die 52 Jahre lang von Detel geleitet wurden und noch heute [2015] stattfinden. Von dieser intensiven Nutzung zeugen u.a. die auf den Stimmstock neben die jeweiligen Wirbel notierten Tonbuchstaben, die ein schnelleres und sichereres Stimmen ermöglichen.
Adolf Detel war schon während seines Studiums (Musik und Germanistik in Hamburg) als Volksschullehrer tätig, danach Studienrat am Gymnasium, später (ab 1939) Dozent für Chor und Chorleitung an der Schule für Musik und Theater (der späteren Musikhochschule); nach Weltkriegsteilnahme und Gefangenschaft Gründungsmitglied der Hamburger Hochschule für Musik und Theater, ebendort von 1953 bis 1970 Professor als Leiter der Hauptabteilung Schulmusik; zahlreiche Konzerte, Rundfunkaufnahmen, Schallplatten, aktiv bis ins höchste Alter (letztes öffentliches Dirigat 1993 aus Anlass seines 90. Geburtstages). Die obigen Fotos zeigen das Instrument bei Chorkonzerten 1985, 1996 und 1978 (von oben links nach unten rechts; Archiv Detel).